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Warum müssen wir da rauf?

Arthur Kudelka, Leiter der Service­abteilung

23.03.2020 | Arthur Kudelka, unser LOWA Service-Leiter, ist der erste Ansprech­partner für das LOWA PRO TEAM und selbst ein erfahrener Alpinist. Er hat erfolgreich Hobby, Leiden­schaft und Beruf miteinander verknüpft und folglich einen ganz anderen Blick und höchste Moti­vation, die er im Zuge von #ForTheNextStep mit uns teilt.

Warum müssen wir da rauf?



Diese Frage ging mir gele­gentlich durch den Kopf, als ich im Schneesturm ins nächste Lager unterwegs war und mir der Schnee ins Gesicht peitschte. Warum?



Worin besteht der Sinn, auf den nörd­lichsten 7.000er der Erde zu steigen?



Die Antwort ist ganz einfach, es macht keinen Sinn. Berg­steigen ist sinnlos und deshalb auch so unglaublich schön.

Es ist Juli 2019 und ich sitze mit meinem Klet­ter­partner in einem alten Mili­tä­r­hub­schrauber der russischen Armee, der uns ins Basislager des Khan Tengri in Kasachstan bringt. Wir landen auf dem Inyltschek Gletscher auf 4.000 m und beziehen unsere Zelte. Der Blick geht immer wieder in Richtung Aufstiegsroute und Gipfel, die imposant und steil in die Höhe ragen. Gleich am nächsten Tag beginnen wir mit der Akkli­ma­ti­sierung und steigen über 1,5 Wochen langsam von Camp zu Camp bis wir den Chapaev Peak, einen vorge­la­gerten 6.000er, erreichen. Nach den Strapazen der Akkli­ma­ti­sierung gönnen wir unseren Körpern nochmal 2 Tage Erholung, bevor wir zum finalen Gipfel­versuch aufbrechen. Die Wetter­prognose für den Gipfeltag ist gut und wir können es kaum erwarten zu starten.

Endlich geht es los. Ich schnaufe dennoch wie eine Loko­motive, obwohl ich eigentlich gut akkli­ma­tisiert und fit bin. Die einzelnen Etappen zwischen den Hoch­lagern sind immer noch steil und lang, das ändert leider auch die Höhe­n­an­passung nicht. Nach drei Tagen Aufstieg stehen wir nun zum zweiten Mal am Chapaev Peak. Es schneit und wir sehen fast nichts. Eine kurze Trinkpause gönnen wir uns dennoch, bevor es über eine Abseil­stelle am Berg­schrund nach unten geht. Das Lager 3 liegt auf 5.900 m, sodass man die hart erkämpfen Höhenmeter wieder runter muss. Müde erreichen wir unseren letzten Biwakplatz und bauen unser Zelt auf. Wir versuchen noch einmal Energie zu tanken und früh zu schlafen, auch wenn sich der Körper in der Höhe kaum mehr erholen kann.

Die Nacht ist kurz, bereits um 0.00 Uhr klingelt der Wecker. Wir schmeißen den Kocher an und versuchen etwas zu Früh­stücken. Um 1:30 Uhr sind wir bereits auf dem Weg. Es ist kalt, ich schätze an die – 20°C oder mehr. Wenn ich stehen bleibe, fange ich gleich an zu frieren. Also heißt das Motto: stetig weiter gehen. Die Gipfel­etappe ist alles andere als leicht. Über 1100 Hm Anstieg führen auf den 7.010 m hohen Gipfel, meist im absturz­ge­fährdeten Gelände. Nach ca. 3 Stunden fängt es endlich an zu dämmern aber die Temperatur bleibt weit unter dem Gefrierpunkt. Wir sind Nord-, bzw. West­seitig unterwegs und die Sonne erreicht uns nicht. Dafür können wir endlich die Stirn­lampen ausschalten und mit Tageslicht weiter klettern. Nach ca. 5 Stunden Aufstieg stehen wir endlich am Ende des markanten Couloirs und das Gelände wir etwas flacher. Dafür müssen wir jetzt spuren, denn es hat den Tag davor geschneit und wir sind die ersten hier oben. Weitere 2 Stunden anstren­gender Spur­arbeit vergehen und der Gipfel will sich nicht zeigen. Ein paar Schritte weiter und ich sehe endlich das kleine Holzkreuz in Reichweite. Nur noch ein paar Meter denke ich, doch in dieser Höhe ist jeder Meter lang­wierig.

Eine halbe Stunde später stehen wir endlich auf dem Gipfel des Khan Tengri auf 7.100 m. Der Ausblick raubt uns den Atem. Es ist fast wolkenlos und wir können in alle Rich­tungen blicken. Das Tien Shan Gebirge zeigt sich mit seinen riesigen Glet­schern und Berg­gipfeln in seiner vollen Pracht. Da der Khan Tengri ein Grenzberg ist, stehen wir zudem gleich­zeitig in Kasachstan, Kirgistan und China. Ein unbe­schreib­liches Gefühl. Wir nehmen uns Zeit, um ein paar Fotos zu machen und den Moment zu genießen, bevor es zurück ins Lager 3 geht. Nach insgesamt 14 Stunden liege ich in der Sonne neben unserem Zelt und möchte mich nicht mehr bewegen. Ich nehme ein paar Glück­wünsche entgegen, reiße meine Gipfel­gum­mi­bärchen-Packung auf und genieße diesen unver­gess­lichen Moment!